Impressionen der Tescher Geschichte 

Kärntnerstr. 71
42327 Wuppertal
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Historie

Die Tesche damals ...

Aus der Biografie eines "Tescher Jung" ... von Friedhelm Biebricher

Die Tesche meine Heimat

Hallo Zusammen, im Folgenden werde ich Euch etwas aus meinem Leben, vor allem aus meiner Kindheit, erzählen. Es sind Erinnerungen, die ich hauptsächlich an meine Enkel/in weitergegeben habe und nun auf Papier bringen möchte.
Im Westen der Stadt Wuppertal liegt der Stadtteil Vohwinkel. Nördlich vom Stadtzentrum, auf den Höhen, liegt die Tesche. Früher sagte man, dort wohnt ein besonderes Völkchen, im Positiven wie im Negativen.
In der Zeit meiner Erinnerungen gab es auf der Tesche eine evangelische Volksschule und zwei Kindergärten. Der Seelsorger war der Pastor Emil Tappenbeck. Ein Pastor, der nicht nur von Beruf Seelsorger, sondern auch für das Amt des Pastors berufen war.
Wir, die alten Tescher, erinnern uns gerne an ihn. Bei den älteren Geburtstagen, Konfirmationen oder Hochzeiten durfte Pastor Tappenbeck nicht fehlen. Wenn er dann in der entbehrungsreichen Nachkriegszeit unter den Festgästen saß und aufgefordert wurde, sich noch ein Stück Kuchen zu nehmen, jedoch gesättigt war, kam der bekannte Spruch (und das machte ihn so unvergesslich):
„Ich bekomme nichts mehr runter, aber ich möchte meiner lieben Frau gerne ein Stück mitnehmen“.
Er war nicht nur für uns der Herr Pastor, nein, er war immer für uns da. Es gab für ihn keinen Unterschied zwischen „Arm und Reich.“
Ich wurde mit seiner Tochter Alida konfirmiert, die keine Privilegien im Unterricht bekam, sondern die gleiche fürsorgliche Betreuung und die gleichen Pflichten.

Auf der Tesche gab es, nach meiner Erinnerung, sehr viele Unternehmer, so dass alle Tescher Bürger eine Beschäftigung finden konnten:
Die Firma Steger (Landwirtschaftsmaschinen), die Firma R.C. Walther (Spritzpistolen), die Firma C.K. Walther (Maschinenfabrik) die Firma Husum (Schreinerei), später kam noch die Firma Ewald Kraft (Apparatebau), der Bahnwagenhersteller Rau, sowie die Firmen Brill und Henkel hinzu.
Die Landwirte Pfankuchen, Jäger, Korten, Pashaus und MakusSchnieders. Die Schuhmacher Otto, August Dörner, Karl Koch, Esters, Simon und Karl Adams.
Die Metzgereien Berg, Walter Schmitz, Brausch, Sickerlin
Zwei Sanitär-Werkstätten (Klempnerei), Christian Hainbach und Artur Schmitz.
Auch brauchten die Frauen und Männer nicht ohne gepflegte Haarfrisuren sein, hierfür waren die Friseure Karl Kölsch, Friseur Butz für die Männer und für die Damen Hertha Wulf zuständig.
Die Bäckereien Thiemann, Schulte und EmkenSchmitz.
Unzählige Lebensmittelfachgeschäfte: 3x Konsum, Jansen, Höfener, Pommer, Josting, Rademacher, Schnieders, Übers, Bruckermann, Woringund Lange.
Zigarettengeschäfte von Thaden und Pöns.
Textilgeschäfte Linder und Pöns.
Milchhändler Müller, Hilpich und Pommer lieferten Vollmilch auf Karte sowie Magermilch ohne Karte.
Der Beerdigungsunternehmer mit der Schreinerei Ronge gehörte zu den Tescher Unternehmern, sowie die Schneiderei Kater.
Drei Kohlenhändler waren auf der Tesche: Anna Hermanns, Peter Küller und Kohlenlager Kimmel.
Dachdecker, Glasereien, Maler und Anstreicher rundeten die Geschäftswelt ab.
Auch den Rechtsanwalt Bosshammer gab es.
Vergessen wir nicht die Gaststätten wie Hotel Schnieder, die Gaststätten Müller, Werner Schnieders, Kuhn/Utsch, das „Försterhaus“ (Aken Landmesser) und die „Hansa Klause“ (Hans Mütze).

Auch in Sachen Sport, und ganz besonders mit dem Fußball, konnte die Tesche einiges bieten.

Damals, im Jahr 1948, spielte die TSG Vohwinkel in der höchsten „Deutschen Fußballliga“, der Oberliga West.
Wenn der rechte Verteidiger Willi Baltruschad, genannt Pascha, den linken Verteidiger Kurt Sträter, genannt Töten, besuchen wollte, brauchte er nicht erst nach Brasilien zu fliegen, sondern nur auf die andere Straßenseite zu wechseln.
7-8 Spieler der 1.Manschaft in der höchsten Liga wohnten zum Anfassen nahe auf der Tesche (Willi Baltruschad, Kurt Sträter, Gerd Bohne, Alfred Miss, Willi Andexer, Erwin Andexer, Hans Mütze, Helmut Weiß und Heinz Gemecker).
Unvergessen auch der Torwart Franz Montag, sowie die Spieler Erwin und Horst Küller.
Auch ich spielte, wie so viele Tescher Jungen, in der Jugendmannschaft der TSG Vohwinkel. Im August 1948 war es dann soweit, ich durfte zu meinem ersten Spiel gegen Jahn-Wuppertal auf dem Tescher Sportplatz antreten. Nie hätte ich gedacht, dass ich erst 35 Jahre später die Schuhe an den berühmten Nagel hängen würde.

Außer guten Fußballern hatten wir auf der Tesche auch sehr gute Jugendbegleiter, die ihre Freizeit für uns opferten und uns zu den angesetzten Fußballplätzen führten. Ich erinnere mich an Walter Sichelschmied, genannt Onkel Walter, Heinrich Diehl, Bohne und Pelzer und an meinen ersten Trainer Erich Göller.

Nur durch den Verein kamen wir zu einem Lederball, doch um diesen auch wirklich zu erhalten, mussten wir vor Trainingsbeginn ein paar Schubkarren Erde in die Bombentrichter, die auf dem Tescher – Fußballplatz zu finden waren, werfen.

Aber es gab auch schlechte, unvergessene Tage auf der Tesche:
Am 31.12.1944, also am Silvesterabend, flogen englische Flugzeuge Vohwinkel an und luden über 50 Minuten lang auf der Tesche ihre Bomben ab.
Einige Bewohner auf der Tesche konnten sich noch rechtzeitig in den Bunkern (Bahnbunker-Buntenbeck, Bunker oder im Tescher Tunnel) in Sicherheit bringen.
Nach Beendigung des Luftangriffs war es auf der Tesche sehr hell und mein Vater meinte, es wäre Gas, welches brannte.
Tatsächlich war folgendes geschehen:
In der Höhe der Bahnstraße 151-153 stand eine Flak, welches von weiblichem Flakpersonal bedient wurde.
Diese Frauen waren sehr wahrscheinlich nach dem ausgelösten Alarm in den Buntenbecker-Bunker geflüchtet und hatten die Flakscheinwerfer an- und kreisen gelassen. Somit war die Tesche hell erleuchtet und die Piloten der Bomber dachten sicher, sie hätten den Verschiebebahnhof, welcher aber abgedunkelt war, unter sich.

Ich möchte noch kurz erzählen wie wir, die Kinder im Krieg, zum Überleben trainiert wurden.
Im Juni 1945, nach Kriegsende, spielte ich als Siebenjähriger in der Kärntnerstraße, als mehrere kurze aufeinander folgende schussartige Geräusche zu hören waren.
Meine Spielkameradin und ich stürzten uns in den nächsten Keller in der Kärntnerstraße 19. Nachdem wir sicher ein oder zwei Stunden auf der Kellertreppe gesessen hatten, kam eine Bewohnerin, wahrscheinlich um Kohlen zu holen, in den Keller, sah uns und sprach:„Kinder, was macht ihr denn hier?“ Wir antworteten:„Es ist doch Bombenalarm und wir warten auf die Entwarnung“. Man muss wissen, es gab immer einen Voralarm, einen Hauptalarm und eine Entwarnung während des Krieges.
Die Frau erklärte uns, dass der Krieg doch aus war!
Was war geschehen? Von Vohwinkel bis Mettmann fuhr über die Tesche, zum ersten Mal seit Beginn der Gleisreparaturen, wieder eine Straßenbahn.
Die älteren Jugendlichen hatten kleine Sprengkörper auf die Schienen gelegt, die von den Rädern der Straßenbahn zum Explodieren gebracht wurden. Heute würde man sicher sagen, wir wären traumatisiert gewesen. Aber wir hatten nur Angst und machten das was man uns gelehrt hatte: bei Gefahr die nächstgelegene Deckung aufsuchen.

Die Kinder der Tesche hatten viele Möglichkeiten die Freizeit zu verbringen. Die umliegenden Steinbrüche waren mit Wasser gefüllt und wurden im Sommer zum kostenlosen Schwimmen täglich genutzt. Das „Siegersbüschken“ war der Treffpunkt der Jugendlichen zwischen 8 -16 Jahren zum Fußballspielen. Dort war der Bolzplatz zwischen den Bäumen. Die Baumstämme waren die Torpfosten. Auch wurde ab und zu ein Boxring gebaut, wo die Stärke des Einzelnen geprüft wurde.
Die damaligen Winter hatten viele Schneetage, da war das Angebot der Pfankuchen-Wiese, der Hohlweg oder die Schlittenbahn am Ende der Kärntnerstraße bis in die Gartensiedlung Neubuntenbeck ein tolles Angebot.
Außerdem fuhren die Mutigen unter uns Schlittschuh auf dem Knäppersteich. Da aber zur damaligen Zeit, so um 1944 und später, die Schlittschuhe am Absatz befestigt wurden, ging so manches Kind ohne Absatz nach Hause, wo einen dann Mutter’s Teppichklopfer erwartete.

Auch muss ich gestehen, dass wir nicht nur liebe Kinder waren. Es durfte kein Gartenpächter der Gartensiedlung Neubuntenbeck Asche auf die Eisbahn streuen, wenn er in seinem Garten zur Tierfütterung musste. Dann war er das Ziel der herunterfahrenden Schlitten.
Auch wurden im Sommer Mutproben angeordnet, indem man in bestimmten Gärten Obst von den Bäumen klauen musste, sonst war man kein volles Mitglied der Jugendbande.

Aber es gab auch die andere Seite des Charakters und der Erziehung: Kein Jugendlicher blieb in einer vollbesetzten Straßenbahn sitzen, wenn ein älterer Mensch einstieg.

Zur Gartensiedlung Neubuntenbeck, in der ich seit 25 Jahren 1.Vorsitzender bin, möchte ich noch folgendes berichten (immer jedoch unter Berücksichtigung der harten Lebensumstände in den Kriegsjahren 1939–1945 und den ersten, entbehrungsreichen, Nachkriegsjahren):
Was für die Stadt Wuppertal der Zucker-Fritz, der Husch-Husch oder die Mina Knallenfalls war, ist für die Tesche der Hubert Löbach gewesen.
Hubert Löbach hatte in dieser Siedlung einen Garten mit einer Holzlaube. Er schlachtete, und das ist überlieferte Tatsache, Hunde.
So mancher Tescher, der es aber hinterher nicht mehr wahr haben wollte, holte sich bei Hubert Hundefett für verschiedene Krankheiten.
Die älteren, und zur damaligen Zeit alten Männer so um die 80 Jahre und mehr, trafen sich täglich im Sommer in dieser Gartenlaube zum Skatspielen. Und so mancher dieser Gartenbesucher naschte auch, was er aber niemals zugab, von diesem doch so gut riechenden Braten. Ich konnte öfters das Fett in den Schnauzbärten dieser alten Männer sehen wenn ich meinen Opa abholen musste. So habe ich immer, und das tue ich heute noch, behauptet, dass bei Hubert Löbach die erste Altenstube in Vohwinkel war.

Auf der Tesche kannten sich fast alle Bewohner, aber die Tesche wuchs und unzählige städtische und private Häuser wurden gebaut. Es zogen viele Menschen aus allen Ortsteilen Wuppertals und aus den Gebieten, aus denen sie vertrieben wurden, auf die Tesche.

In den 50’er Jahren wurde auf dem enteigneten Gelände der Erben Müller eine neue Siedlung gebaut. In der Zeitung wurde die Siedlung, wegen des schnellen Aufbaus, mit dem Namen„Mau-Mau“ bezeichnet. Noch heute, 65 Jahre später, konnte die neu sanierte und recht gut aussehende Siedlung diesen Namen nicht ablegen.

Die Tesche hatte auch einen Schützenverein, seiner Zeit einer der größten im Bergischen Land. Alljährlich feierte er sein Schützenfest mit einem großen Zelt und einer Kirmes auf dem verbliebenen Gelände der Erben Müller. Da die benötigte Stromversorgung im Keller des Hauses Bahnstraße 90, meinem Elternhaus, angeschlossen wurde, freute ich mich jedes Jahr auf eine Anzahl Freikarten für die Karussells. Diese große Fläche, mit ihren 7 Gärten und der großen Wiese an der Bahnstraße 90, meinem Elternhaus, bis zum jetzigen Ärztehaus, wurde dann jedoch auch enteignet und bebaut. Das war auch der Anfang vom Ende des großartigen Schützenvereins, der aber noch ins „Siegersbüschken“ verlegt wurde.

Anschließend bekam die Tesche Ecke Bahnstraße – Meranerstraße eine Kirche. Die integrierte Wohnung wurde vom Pastor Tappenbeck und seiner Familie bezogen.

Das ist ein kleiner Teil der Erinnerungen an meine Jugendzeit.

All die hier genannten Personen, Lehrer, Schulfreunde und Bewohner der damaligen Zeit trugen dazu bei, dass ich eine schöne Jugend auf der Tesche erleben durfte. Wobei der Fußball (Torwart von 1948 -1983, auch wenn ich kein Franz Montag geworden bin) mein Leben geformt hat.
Das Schöne, und für’s Leben eine so wichtige Erkenntnis die ich machen durfte, war: „Im Mannschaftssport zählt nicht der Einzelne, sondern nur die Gemeinschaft“. Siege und Erfolge erringt man nur gemeinsam.

Friedhelm Biebricher (auf der Tesche auch bekannt als „Bibi“)